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Praktizieren Babys Yoga?

Samira beobachtet das braune Holz-Ei, das auf dem Boden des Spielgitters in kurvigen Bewegungen davonrollt, nachdem sie es zufällig beim Greifen nach dem großen Bambusring angestupst hatte. Während das Ei zwischen zwei Stäben nach „draußen“ schlüpft und sich dort immer langsamer schaukelnd zum Stillliegen einpendelt, hält auch Samiria in ihrem Spiel für kurze Zeit inne. Bewegungslos liegt sie satt auf ihrem Becken, den Brustkorb auf die Hände abgestützt da und nimmt horchend und schauend das selbstständige Spiel des hölzernen Eies wahr. Ihre Haltung wirkt gleichzeitig kraftvoll und geschmeidig.  „Wie eine Sphinx“, staune ich. Schon oft haben mich die anmutigen Bewegungen und Körperhaltungen von Säuglingen an Yogahaltungen erinnert. Zudem tarieren sie während ihres spielerischen Tuns ständig ihr äußeres und inneres Gleichgewicht aus. Das Finden der eigenen Mitte – eine Qualität, die manch Erwachsene durch Yoga zu erreichen versucht.

Im nächsten Moment senkt Samira ihren Brustkorb gestützt auf den linken Arm sanft ab und streckt gleichzeitig den anderen nach vor Richtung Bambusreifen. Kaum bekommt sie ihn zu fassen, zieht sie ihn nahe an sich heran und rollt sich geschmeidig auf die linke Seite, um das Ding vorerst mit dem Mund zu erkunden. „Abgestützter Seitsitz“ denke ich, während ich mit freudvollem Staunen einem geschickten Spiel zusehe, in dem sich die grobmotorischen Bewegungen des gesamten Körpers mit dem Handtieren von Händen und Fingern harmonisch ergänzen.

Meine Beobachtungen haben mich irgendwann auf die Idee gebracht, meinem Vortrag über die selbstbestimmte natürliche Bewegungsentwicklung den Titel „Alle Babys machen Yoga“ zu geben. Kürzlich wurde ich gefragt, ob ich den Baby-Yogakurs auch während des Tages anbiete. Der Titel hat offensichtlich Verwirrung gestiftet. Babys brauchen keine Yogastunden! Sie bewegen sich von Natur aus so, wie es für ihren Körper am besten und gesündesten ist. Eine innere Weisheit leitet sie dabei an. Jeder gesunde Mensch bringt dieses Wissen als eine Art „Bauplan“ mit auf die Welt, dennoch braucht der Säugling die entsprechenden Gelegenheiten, ihn harmonisch zu entfalten. Die Möglichkeit dazu kann nur der Erwachsene ihm bieten, indem er angemessen auf das besondere Bewegungsbedürfnis des Kindes reagiert. Es liegt in unserer Macht und Verantwortung, die geeigneten Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Die beiden wichtigsten Grundvoraussetzungen dafür sind, dem Kind Zeit und Raum für seine Bewegungsentwicklung zu lassen. Doch es bedarf noch mehr, wie die ungarische Emmi Pikler durch jahrzehntelange wissenschaftliche Beobachtung herausgefunden hat. Beim Umsetzen ihres, die Kleinkindpädagogik revolutionierenden Ansatzes werden nicht nur die Beweglichkeit des Säuglings, sondern auch dessen Geschicklichkeit und Selbstvertrauen im Umgang mit verschiedenen Herausforderungen bestmöglich gefördert.

Beim Begleiten des Kindes bei seiner selbstbestimmten Bewegungsentwicklung können wir erfahren, welche wunderbare Weisheit dahinter steht und dabei nicht nur viel über unser Kind lernen - es kann gleichzeitig unser eigenes Vertrauen in das Leben nähren.

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