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Sind Kinder Traglinge - Teil 2

Wir sind keine unbeschriebenen Blätter

Im Grunde haben alle Menschen ähnliche Bedürfnisse. Wie wir uns jedoch ihre Erfüllung vorstellen, wird unterschiedlich von unserer eigenen Lebensgeschichte geprägt. So haben manche vielleicht beim Heranwachsen einen Mangel an emotionaler Zuwendung oder zärtlicher Berührung erfahren und andere wiederum durften kaum ihren eigenen Interessen folgen und mussten stattdessen ständig die Erwartungen der Erwachsenen erfüllen. Aus diesem Grund haben wir mitunter völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, was für uns Liebe bedeutet. Das gilt bereits genauso unsere Kinder, weil sie von uns bewusst und unbewusst beeinflusst werden, was völlig natürlich und in Ordnung ist. Je mehr wir uns allerdings darüber bewusst sind, desto verantwortungsvoller werden wir darauf achten, ihnen ein gutes Vorbild in allen Lebensbereichern zu liefern.
Nach meiner Überzeugung hat zusätzlich eine jede und ein jeder bereits eigene Themen mit auf die Welt gebracht, wodurch unsere Individualität noch mehr zum Tragen kommt.
Daher kann es für manchen unvorstellbar sein, sich ohne körpeelicher Nähe geliebt zu wissen, während es andere genießen, hin und wieder allein zu sein, auch schon als Kind. 
Für manche zählt es als besonderer Liebesbeweis, wenn man als eigenständige Person respektiert und in seiner Entfaltung nicht eingeschränkt wird. Ich finde es wichtig, dass wir uns diese Verschiedenarrigkeit gegenseitig zugestehen und anerkennen. 


Die beiden Urbedürfnisse nach Geborgenheit und Entfaltungsfreiraum 

Der Hirnforscher Gerald Hüther spricht immer wieder davon, dass ein Kind mit zwei großen Urbedürfnissen zur Welt kommt. Einerseits möchte es sich in verlässlichen Beziehungen sicher und geborgen fühlen. Es braucht liebevolle Zuwendung - und zwar existenziell. Ohne sie kann es nicht überleben. Andererseits hat es den intrinsischen Wunsch, seine eigenen Potenziale frei zu entfalten und autonom und unabhängig zu werden. Es will nicht nur das eine. Es braucht immer beides. 
Wenn die Eriziehenden diese beiden, sehr gegensätzlichen Verlangen des Kindes achten und sich darum bemühen,  dass beide erfüllt werden, spricht man in der Bindungstheorie von einem "sicheren Hafen", von dem aus das Kind seine Entdeckungsreisen machen und zudem es jederzeit zurückkehren kann, wenn es Hilfe und Nähe braucht.


Beziehungsvolle Pflege als Sprache der Liebe

Meiner Meinung nach wird Emmi Pikler verkannt, wenn ihr lediglich die Rolle der Befürworterin des kindlichen Autonomiestreben zugeschrieben wird. Dabei wurde das von ihr geleitete Säuglingsheim von der WHO zertifiziert, frei von Hospitalismus zu sein. 
Wer sich mit dem Konzept der beziehungsvollen Pflege, welches von Emmi Pikler und ihre Nachkommen erarbeitet und weitergeben wurde, auseinandersetzt, kann darin einen großen Schatz an Anleitungen für liebevolle Zuwendung erkennen. Zärtliche Berührungen gehen dabei gleichzeitig mit aufmerksamer Zuwendung und gedanklicher Präsenz einher. Zudem wird das Kind respektvoll als Kooperationspartner wahrgenommen und ihm sein eigenes Einbringen freudvoll ermöglicht. 
Einige Details daraus:
Das Kind wird angesprochen und Augenkontakt mit ihm aufgenommen, bevor es aufgehoben wird, damit es sich nicht erschreckt. 
Während der Pflege werden ihm ebenso die nächsten Schritte angekündigt, damit es sich darauf einstellen kann.
Immer wieder hält der Etwachsene inne und wartet auf eine Reaktion des Säuglings oder Kleinkindes. Diese kann sich zum Beispiel in einem Entspannen des Muskeltonus äußern und sensibel vom Erwachsenen wahrgenommen werden. Das ermöglicht dem Säugling, sich einzubringen und sein Selbstwertgefühl aufzubauen. Er fühlt sich dadurch zurecht geachtet und wertgeschätzt. 
Eine möglichst ungeteilte Aufmerksamkeit für das Kind, mit dem man gerade agiert, ist ein wesentlicher Anspruch Emmi Piklers an die Betreuer*innen. 
Hat es nicht eine hohe Qualität, wenn sich jemand bei der Körperpflege voll und ganz auf das Gegenüber einlässt, es gut wahrnimmt und auf gleicher Augenhöhe mit ihm kommuniziert? 
Den Unterschied kann man sich so vorstellen, dass man eine angenehme Massage erfährt und die Person, welche die Massage ausführt, entweder mit ihren Gedanken völlig bei ihrem Tun ist oder umgekehrt in ihren Gedanken abschweift und womöglich noch gleichzeitig mit einer anderen Person spricht. 
Vom Philosophen Hugo Kükelhaus stammen die Worte, dass Liebe und Aufmerksamkeit einander bedingen.


Liebe hat viele Sprachen

Menschen jeden Alters haben das Bedürfnis nach körperlicher Nähe und zärtlicher Berührung - der oder die eine vielleicht mehr als andere. Wie anfangs beschrieben, haben wir zwar unterschiedliche Präferenzen, doch ohne Berührung mag und kann niemand sein. Trotzdem ist Liebe nicht ausschließlich an körperliche Nähe gebunden oder darf auf sie allein reduziert werden. Liebe ist auch über räumliche Distanzen spürbar und kann durch Vieles zum Ausdruck kommen.
Ein Merkmal der Liebe ist es unter anderem, dass man sich wahrgenommen und wirklich gesehen fühlt. Babys und kleine Kinder sind davon in ihrem Überleben abhängig, dass sie gehört und gesehen werden. 
Manchmal werden aus Liebe die eigenen Bedürfnisse zum anderen zurückgestellt. Gute Eltern tun das im Grunde ständig, wenn sie sich, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, sofort zu ihrem weinenden Baby begeben und versuchen, dessen Signale richtig zu deuten und angemessen darauf zu reagieren. Es ist zwar gewissermaßen ihre Pflicht und Verantwortung, dennoch spürt das Kind dadurch ihre Liebe besonders verlässlich. 


Wenn wir unser Kind wirklich lieben, wird es das spüren

Jeder Mensch hat von Geburt an eine Antenne dafür, was sein Gegenüber aussendet und mitteilen möchte, vor allem in Bezug, ob sich dessen Worte und Signale aufrecht und glaubwürdig anspüren. 
Wir können also zutiefst darauf vertrauen, dass unser Kind unsere Liebe fühlt, wenn wir authentisch sind und sie wirklich im Herzen empfinden. Jeder liebevolle Gedanke von uns, jedes Gespräch, indem wir voll Liebe über unser Kind erzählen und uns über es austauschen oder nach Lösungen für ein Problem suchen wird es auf einer gewissen, eher unbewussten Ebene als Liebe wahrnehmen und es wohlig umhüllen, auch aus der Entfernung.









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Für das Kind ist das Spiel seine Arbeit.

Für den Menschen, der seine Berufung lebt, wird die Arbeit zum Spiel.