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Wenn mein Kind mich schlägt

Endlich gehen Samira und ihr Papa zum Kachelofen in die Stube, um es sich auf dem Sofa gemütlich zu machen. Kuschelstunde. Papa hat versprochen, eine Geschichte zu erzählen. Da kommt die Tante zur Tür herein und die beiden Erwachsenen beginnen sogleich ein fröhliches Gespräch. Natürlich wird auch Samira herzlich begrüßt, doch die Neuigkeiten, die die Tante zu berichten hat, lassen den Vater im Augenblick vergessen, was er gerade mit Samaria vorhatte. Plötzlich schlägt Samira – es scheint wie aus heiterem Himmel – dem Papa ins Gesicht und trifft ihn empfindlich am Ohr.

Keine ungewöhnliche Situation, denn Erwachsene switchen oft schnell von ihrer Aufmerksamkeit für das Kind zu einer anderen Person oder zum Handy. Wie ist das aus der Sicht des Kindes? Haben Sie schon einmal versucht, eine solche oder ähnliche Situation aus dessen Perspektive zu betrachten?
Jetzt, beim Lesen dieser Zeilen, fällt es vermutlich leicht, die Motive des Kindes zu erkennen und zu verstehen, doch wenn wir selbst Teil der Handlung sind, ist das viel schwieriger.
Wir wollen nicht, dass unser Kind grob ist und uns schlägt. Vor allem, wenn uns dieser Hieb so unglücklich trifft, dass wir vom plötzlichen körperlichen Schmerz überrumpelt sind, ist es nicht einfach, freundlich zu reagieren.

 

Wenn es uns dennoch gelingt, Ruhe zu bewahren und einen Perspektivenwechsel zu versuchen, werden wir fähig sein, empathisch zu reagieren. „Du möchtest jetzt die Geschichte hören. Darauf hast du dich schon gefreut. Tut mir leid, das hab‘ ich kurz vergessen. Aber ich mag trotzdem nicht, dass du mich haust.“ Freilich macht es Sinn, mit dem Kind in Folge bessere Alternative zu besprechen. „Du könntest mich noch mal fragen oder mich anstupsen.“ Je jünger das Kind, desto weniger Informationen kann es allerdings auf einmal verarbeiten.

Freundlich und verständnisvoll zu antworten, bedeutet nicht, dass wir das Schlagen gutheißen. Es besagt auch nicht, dass wir unsere eigenen Grenzen nicht achten. Es zeigt nur, dass wir nicht vorschnell urteilen und moralisieren, sondern die Bedürfnisse des Kindes, welche es im Hintergrund steuern, wahrnehmen. Dieses Wahrnehmen ist eine wesentliche Voraussetzung für einen angemessenen Umgang mit dem kindlichen Verhalten.


Das Kind schlägt nicht deswegen zu, weil es von Grund auf aggressiv oder böse ist, auch wenn die Handlung selbst einen aggressiven Charakter hat. Es schlägt deswegen zu, weil es auf sich aufmerksam machen möchte, weil es zum Beispiel das gegebene Versprechen einfordern möchte und sehr oft einfach deswegen, weil es seine Bedürfnisse nicht besser kommunizieren kann. Dies liegt zum einen daran, dass ihm tatsächlich die verbalen Mittel dazu fehlen und zum anderen, da es sich oft chancenlos sieht und sich nicht besser zu helfen weiß.

 

Förderlich ist immer, wenn wir zwischen Handlung und Person trennen. Wir heißen zwar die Tat nicht gut, finden das Kind selbst dennoch vollkommen liebenswert und richtig.

Es ist neutral und tut niemanden weh, etwas Sachliches, wie eine Handlung zu bewerten. Hingegen schmerzt es sowohl uns selbst als auch unser Kind, wenn wir es selbst als „schlimm“ betrachten. Für den Heranwachsenden kann es darüber hinaus langfristige Folgen haben, wenn er ständig als „nicht richtig“ betitelt wird. Wir wissen aus der Hirnforschung, dass Menschen durch die Spiegelneurone zu dem werden, was ihnen ständig gesagt wird. Zudem werden auf diese Art und Weise prägende Glaubenssätze gebildet, die man oft ein Leben lang wie blinde Flecken mit sich schleppt. So ein Satz könnte zum Beispiel lauten: „Ich bin es nicht wert, dass man mir Aufmerksamkeit schenkt, weil ich ein grober Mensch bin.“

 

Beim Auftreten von aggressivem Verhalten von Kindern könnten wir uns folgende Fragen stellen:

  • Welche Grobheiten könnte das Kind schon selbst erfahren haben?
    Solche Momente passieren meist, wenn wir gestresst sind, zum Beispiel beim Ankleiden, wenn es schnell gehen muss. Auch Worte können grob sein, wenn wir schreien oder barsch reden.

  • Welche Bedürfnisse des Kindes kommen manchmal zu kurz? Nehme ich wahr, wenn es etwas braucht oder es mir etwas mitteilen möchte? Bin ich oft in Gedanken mit anderen Dingen beschäftigt?

 

 Ziel könnte es sein, in einer solchen Situation verständnisvoll zu reagieren und gleichzeitig klar zu kommunizieren, dass wir Gewalt nicht gutheißen. Wenn wir dabei ehrlich unseren eigenen Anteil erkennen und eingestehen, kann dies heilend für beide sein und bietet zudem dem Kind ein wundervolles Vorbild, wie man einander respektvoll begegnen kann. Zudem spürt das Kind dadurch, dass unsere Liebe zu ihm bedingungslos ist. Das wiederum gibt ihm jene Stabilität, die es in Zukunft brauchen wird, um an schwierige Herausforderungen mutig und vertrauensvoll heranzugehen.

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