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„Der erste König ist gekommen!“

Kurz nach sechs Uhr weckt Samira ihren Papa auf, um ihn zu bitten, mit ihr nach unten zu gehen und zu schauen, ob es auf dem Jahreszeitentisch etwas Neues gibt. Tatsächlich. „Der erste König ist gekommen!“, ruft Samira voller Freude und Begeisterung aus. Nachdem seit gestern der goldene Weihnachtsstern über dem Weg nach Bethlehem schwebt, hat sich einer der drei Weisen aus dem Morgenland bereits auf die Reise gemacht. Bald wird er mit den anderen beiden zusammentreffen, um gemeinsam weiterzuwandern. Doch bis es soweit ist, haben Maria und Josef noch ein Stück Weg vor sich. Auch sind weder der Ochs noch der Engel in Bethelhems‘ Stall erschienen. Bis Weihnachten dauert es noch ein paar Tage.
Samiras erster Gang führt in der Vorweihnachtszeit nicht ins Badezimmer, sondern stets zu diesem mystischen Platz, wo nicht nur Josef und Maria mit ihrem Esel jeden Tag ein Stück weiter vorrücken, sondern auch ein weiterer Stern am dunkelblauen Nachthimmel erscheint und ein neues Tier, Pflänzchen, Schneckenhäuschen oder ein Schafhirte auftaucht, um das Kind zu empfangen.
Immer wieder steht Samira beim Jahreszeitentisch und spielt und redet mit den Figuren. Sie legt sie schlafen, weckt sie wieder auf, erzählt ihnen, was es Neues gibt oder führt die Schäfchen zu frischen Weideplätzen. Manchmal legt sie Moos oder andere Dinge, die sie draußen gesammelt hat auf dem Boden des Stalles, damit es das Christkind warm hat, wenn es schließlich dort zur Welt kommen wird.

Kindliche Magie
Kinder hören Geschichten nicht als unbeteiligte Zuhörende, nein, sie sind selbst Teil von ihr. Die kindliche Magie ermöglicht ihnen, Raum und Zeit zu überbrücken. Distanzen von 2000 Jahren und Strecken um den halben Globus werden von ihnen in einem einzigen Augenblick bewältigt, um sich selbst mitten ins Geschehen zu integrieren. Sie erleben die Handlung selbst mit und nehmen aktiv daran teil. Sie bringen sich im Spiel mit all ihrer Präsenz ein, fiebern und freuen sich mit oder versuchen zu helfen und Lösungen zu finden, wenn Nöte vorherrschen.
Sie gehen nicht mit dem kognitiven Verstand an die Situation heran, sondern aus dem mitfühlenden Herzen heraus. Daher entsprechen Erklärungen, dass Jesus vor über 2000 Jahren geboren wurde und wir „nur“ seinen Geburtstag feiern nicht der kindlichen Perspektive. Das kleine Kind lebt nicht in der linearen Dimension von Vergangenheit und Zukunft, sondern versinkt völlig im momentanen Augenblick.
Laut Quantenphysik liegt es damit ganz richtig. Vielleicht haben Kinder intuitiv sogar zu mehr Wissen Zugang, als wir uns erklären können?

Auf die Handlung Einfluss nehmen

 

Das kleine Kind konsumiert von Natur Geschichten nicht, sondern erlebt sie. Dies setzt voraus, dass es selbst Einfluss nehmen kann, so wie es dies im freien Spiel ständig macht und so seine Selbstwirksamkeit erfährt.
Wenn wir ihm also etwas vorlesen und erzählen, entsteht vor seinem inneren Auge ein Bild – was übrigens aus Sicht der Hirnforschung sehr vorteilhaft für die Entwicklung der Intelligenz ist, in das es sich selbst integriert. Es sieht die Handlung nicht mit Abstand, sondern befindet sich mitten darin.

Daher macht es Sinn, die gemeinsame Vorlesesituation als einen interaktiven Prozess zu gestalten und dem Kind zwischendurch Fragen zu stellen, um wahrzunehmen, wie es das Gehörte verstanden hat und was es emotional bei ihm auslöst.

Kasperltheater versus fertige Geschichten aus der Medienkonserve

Das klassische Kasperltheater erfüllt diesen Aspekt, indem es die Kinder zum Mitwirken einlädt. „Kasperl, pass auf, das Krokodil kommt! Pass auf Kasperl! Das Krokodil!!!“ Die Spannung baut sich auf und löst sich wieder auf, da der Kasperl auf die Warnrufe der Kinder reagiert. Das Kind erfährt, dass es etwas nützt, wenn es Verantwortung übernimmt und mithilft.
Jede Form von digitalen Medien kann diesem elementaren Bedürfnis des Kindes nicht gerecht werden. Anfangs versucht das kleine Kind noch auf die Handlung einzuwirken, doch irgendwann gibt es auf und akzeptiert, dass es nicht gehört, dass es sozusagen ignoriert wird. Gleichzeitig stumpft das Kind emotional ab, um sich zu schützen. Leider wird dies oft fehlinterpretiert und man meint, dass es gut mit dem Inhalt des Filmes umgehen kann.

"Wenn Sie möchten, dass Ihre Kinder intelligent sind, lesen Sie ihnen Märchen vor. Wenn Sie möchten, dass sie intelligenter sind, lesen Sie ihnen mehr Märchen vor."   

Albert Einstein

 

 

Ethisches Handeln
Wenn das Kind am Jahreszeitentisch spielt, handelt es fürsorglich. Es bereitet dem Christkind gemeinsam mit den kleinen Figuren und den Dingen aus der Natur einen warmherzigen Empfang. Nicht das etwas haben Wollen, sondern das Geben steht dabei im Vordergrund und bringt somit einen sehr ethischen Aspekt in die Vorbereitung auf Weihnachten mit sich.

Verstärken können wir das Ganze natürlich durch unser eigenes Vorbild und das Erzählen von Geschichten, wo tugendhafte Werte mitgetragen werden.
In diesem Zusammenhang kann ich aus meiner Erfahrung als Mutter und Großmama das Buch „Marias kleiner Esel und die Flucht nach Ägypten“ empfehlen. Es eignet sich zur Einstimmung auf das Weihnachtsfest und zur Begleitung des Geschehens aus dem Jahreszeitentisch, indem es die Weihnachtsgeschichte auf kindgerechte Art mit vielen spannenden und herzerwärmenden Details wiedergibt.

Buchtipp:
„Marias kleiner Esel und die Flucht nach Ägypten“ von Gunhild Sehlin, Verlag Urachhaus

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Kommentare: 1
  • #1

    Uschi (Donnerstag, 04 Januar 2024 12:47)

    Der Jahreszeiten-Tisch ist wirklich eine sehr gute Idee und auch ein gutes Beispiel für die empfohlene Interaktion. Danke!

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